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Beitrag vom 21.02.2011
Almanya - Willkommen in Deutschland. Ein Film von Yasemin und Nesrin Samdereli.
Anna Hohle
Mit dieser klugen und witzigen Multikulti-Komödie haben die Samdereli-Schwestern ein kleines Meisterwerk geschaffen, das mit Blick auf die aktuellen enervierenden Integrationsdebatten gerade zur...
... rechten Zeit in die Kinos kommt.
"Was sind wir denn jetzt - Deutsche oder Türken?" fragt der sechsjährige Cenk seine Verwandten wütend, nachdem ihn weder seine deutschen noch seine türkischen Klassenkameraden in ihre Fußballmannschaft wählen wollen. Wenn das nur so einfach wäre! Überhaupt herrscht in letzter Zeit einiges Durcheinander in der Familie Yilmaz. Opa Hüseyin und Oma Fatma werden nach über vierzig Jahren erstmals deutsche Pässe ausgestellt, was bei Hüseyin nächtliche Albträume auslöst. Die Brüder Veli und Muhamed sprechen nicht mehr miteinander, und die 22jährige Canan, Cenks Cousine, ist von ihrem britischen Freund ungeplant schwanger…
Ausgerechnet jetzt überrumpelt Hüseyin seine Lieben mit der Neuigkeit, er habe ein Haus in Anatolien erworben und wünsche, dass die gesamte Familie ihn in den Ferien dorthin begleite. Nicht alle sind von dieser Idee begeistert. Und dennoch quetscht sich die große Familie schließlich in den Kleinbus, um sich auf die Reise zu begeben, dorthin, wo vor über vierzig Jahren alles anfing.
Um Cenk zu trösten, berichtet ihm Canan unterwegs, wie das damals war in den Sechzigern, als ihr Opa Hüseyin aus der Türkei nach Deutschland kam. Und damit beginnt die Geschichte…
Mit vielen Rückblenden erzählen Yasemin und Nesrin Samdereli von Hüseyin und Fatma, ihren Kindern und Enkeln und deren komischen, traurigen und bizarren Erlebnissen aus vier Jahrzehnten. Die Regisseurinnen beweisen dabei großes Talent sowohl für köstliche Situationskomik als auch für die leisen Zwischentöne. "Almanya" ist einer jener seltenen Filme, bei denen die ZuschauerInnen laut lachen - und wenig später eine kleine Träne verdrücken, weil es so lustig und tragisch und verrückt ist - dieses ganz normale Leben. Man kann sich auf der Stelle mit den sympathischen, weil unperfekten Filmfiguren identifizieren - und leidet still mit, etwa bei Fatmas Versuch, ohne jegliche Deutschkenntnisse ihren ersten Lebensmitteleinkauf zu bestreiten.
Trotz der großen Dichte komischer Szenen wird der Humor der Regisseurinnen doch niemals bösartig oder klamaukig. Einen Höhepunkt der liebevollen Deutschlandsatire stellt die Kreation einer fiktiven Fantasiesprache dar, die es auch den ZuschauerInnen deutscher Muttersprache ermöglicht, die Kommunikationsschwierigkeiten der frisch angekommenen ArbeitsmigrantInnen nachzuempfinden. "Kling, Glöckchen" in der Kauderwelsch-Version etwa ist ein großartiges Stück deutsch-türkischen Humors.
Erfreulicherweise wählten die MacherInnen nicht nur bekannte SchauspielerInnen, sondern viele neue Gesichter. Einige der Filmfiguren mussten aufgrund der Zeitsprünge gleich in drei verschiedenen Altersstufen dargestellt werden. Doch das Kunststück gelingt, die jungen DarstellerInnen bleiben in den "alten" erkennbar. Besonders Fahri Yardim (Hüseyin) und Demet Gül (Fatma) beweisen als junges Ehepaar viel komödiantisches Talent. Auch die Gastrollen sind, unter anderem mit Axel Milberg als akribischem deutschem Beamten, hervorragend besetzt.
In Bezug auf Ausstattung und Kostüme hätte Almanya für das authentische Sechziger- und Siebziger-Jahre-Ambiente und die entsprechende Einkleidung der Familie Yilmaz übrigens mindestens einen Extrapreis verdient!
AVIVA-Tipp: Ein Film über Integration? Auch, denn zweifellos thematisiert Almanya jene teils schmerzlichen, teils nachträglich amüsanten Erfahrungen von ArbeitsmigrantInnen der ersten Generation. Dabei verzichtet der Film jedoch nicht auf satirische Überspitzung und wischt lästige Debatten über fehlenden Anpassungswillen mit einer großen Portion Humor hinweg ("Verpflichten Sie sich, die deutsche Kultur als Leitkultur zu übernehmen? Das bedeutet, Sie werden Mitglied in einem Schützenverein, schauen jede Woche Tatort und verbringen jeden zweiten Sommer auf Mallorca!").
Vor allem aber ist Almanya ein äußerst kluger, lustiger und nachdenklicher Film über ganz "normal" verrückte Familienmitglieder, die sich lieben und streiten - Menschen, wie es sie mit all ihren Macken, Ängsten und Hoffnungen hier und dort und überall gibt.
Zu den Regisseurinnen:
Yasemin Samdereli wurde 1973 in Dortmund geboren und studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Sie arbeitete als Regieassistentin, Drehbuchautorin und Regisseurin, sammelte Erfahrungen bei internationalen Kinoproduktionen wie Jacky Chan ist Nobody und Accidental Spy. Ihr erster Kurzfilm Schlüssellöcher erschien 1994, Kismet (2001) wurde für den Max Ophüls-Preis nominiert. 2002 drehte sie ihren ersten TV-Spielfilm, die Multi-Kulti-Liebeskomödie Alles getürkt und 2007 die Komödie Ich Chefe, du nix. An der preisgekrönten TV-Serie Türkisch für Anfänger arbeitete sie als Co-Drehbuchautorin mit.
Nesrin Samdereli wurde 1979 in Dortmund geboren. Sie begann ihre Autorinnenentätigkeit als Lektorin bei Kinowelt. Außerdem verfasste sie zahlreiche Drehbücher für Kurzfilme, die sie gemeinsam mit ihrer Schwester Yasemin schrieb und bei der sie oder Yasemin Regie führten, unter anderem Kismet und Sextasy. Von 2007 bis 2009 absolvierte sie ein Drehbuchstudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Sie schrieb das Drehbuch für Alles getürkt, für eine Folge der Serie Türkisch für Anfänger und führte Regie beim Kurzfilm Delicious. Almanya. Willkommen in Deutschland ist ihr Kinofilmdebüt.
(Quelle: Concorde Filmverleih)
Almanya - Willkommen in Deutschland
Deutschland 2010
Regie: Yasemin Samdereli
Drehbuch: Nesrin Samdereli und Yasemin Samdereli
Produktion: ROXY FILM
DarstellerInnen: Fahri Yardim, Vedat Erincin, Demet Gül, Lilay Huser, Rafael Koussouris, Aylin Tezel, Denis Moschitto, Axel Milberg, Katharina Thalbach, Walter Sittler, Jule Ronstedt, Petra Schmidt-Schaller u.a.
Verleih: Concorde Filmverleih
Lauflänge: 97 Minuten
Kinostart: 10. März 2010
FSK: ab 6 Jahren
www.almanya-film.de
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